‚Nur wer weiss, woher er kommt, weiss, wohin er geht‘
Getreu dieses Zitates von Theodor Heuss (1884 – 1963, Politiker und Philosoph), haben wir versucht, die Geschichte des Jodlerclubs Stadt St.Gallen aufzuzeichnen um damit die Zukunft zu gestalten.
Und so begann es
Mitte 1918 hatten sich die Mitglieder des Turnvereins Neue Sektion St.Gallen endlich wieder zur Turnstunde getroffen. Das erzählt uns Gallus, der rüstige Veteran, den wir an einem Sonntagnachmittag in seiner Wohnung über die Geschichte unseres Jodlerclubs befragen. Während des ersten Weltkrieges hatten die Aktivitäten des Turnvereins geruht. Mit wenigen Ausnahmen standen die Mitglieder während dieser Zeit unter der Fahne und erbrachten ihren Dienst für das Vaterland. Im Anschluss an die Turnstunden seien sie jeweils gemütlich zusammengesessen, erzählt Gallus. Und da sei nebst dem Jassen auch mit Inbrunst gesungen worden. An den jährlichen Vereinsabenden im Schützengarten wurde jeweils ein Theater aufgeführt und die Mitglieder trugen verschiedene Lieder vor. Einige Turner packte der Ehrgeiz und sie hatten zunehmend den Anspruch, die musikalische Qualität der Vorträge zu verbessern. Der Veteran erinnert sich, ein besonders engagierter Turner – er war Lehrer im Hadwig-Schulhaus – habe in einer Turnstunde die Idee vorgebracht, eine Gesangssektion zu gründen. Er wollte mit den Turnern, die gerne sangen, regelmässig Proben durchführen. Der damalige Präsident des Turnvereins war von der Idee begeistert. Er freute sich, mit dieser Untersektion die Unterhaltungsabende gesanglich ‚aus den eigenen Reihen’ bestreiten zu können und dadurch keine externen Formationen verpflichten zu müssen. Die eigenen Sänger seien günstiger gewesen, meint Gallus mit einem verschmitzten Lächeln.
Und das war die Geburtsstunde unseres heutigen Jodlerclubs
Die Gesangssektion traf sich fortan wöchentlich zur Probe, die der Herr Lehrer leitete. Das Repertoire umfasste zunächst bekannte Männerchorlieder. Nach und nach wurden auch Jodellieder gesungen. Der Chor sei regelmässig an den Vereinsabenden aufgetreten, erzählt Gallus. «Manchmal wurden wir auch angefragt, an einem Geburtstagsfest den Jubilar mit unseren Liedern zu erfreuen.» Mit der Zeit mehrten sich Stimmen von Sängern, die mehr singen und weniger turnen wollten. Für viele war die Belastung der wöchentlichen Proben und Turnstunden zu hoch. Gallus erinnert sich, wie der Turnverein nach hitzigen Diskussionen schliesslich beschloss, die bisher lose Gesangssektion als offizielle Untersektion anzuerkennen und dies so auch in den Statuten zu vermerken. Die Untersektion hiess von nun an ‚Jodlerklub TV Neue Sektion St.Gallen‘. Der Veteran erzählt, durch die erlangte ‚Freiheit‘ sei mit noch grösserem Engagement gesungen und verstärkt auch auf die musikalische Qualität geachtet worden. Das Repertoire bestand nun ausschliesslich aus Jodelliedern und Gallus erinnert sich, dass sich eine sehr schöne Kameradschaft entwickelte. Obwohl es wirtschaftlich eine schwierige Zeit war, wurden einige Reisen unternommen. Auch wagte der neue Jodlerklub, eigene Konzerte zu gestalten. Natürlich, so der Veteran, habe es manchmal Spannungen unter den Mitgliedern gegeben und auch die musikalische Qualität habe ‚Aufs und Abs‘ erlebt. Nichtsdestotrotz seien es wunderbare Jahre gewesen und der Jodlerklub TV Neue Sektion habe sich prächtig entwickelt.
Der zweite Weltkrieg und die Zeit danach
«Wie ihr euch denken könnt», führt der Veteran aus, «war es während des zweiten Weltkriegs nicht mehr möglich, regelmässig Proben durchzuführen.» Schweren Herzens sei im Jahre 1941 beschlossen worden, bis auf weiteres auf regelmässige Proben zu verzichten.
«1944 trafen wir uns dann wieder zur ersten Probe», erinnert sich Gallus. «Unsere Mitglieder, die Aktivdienst geleistet hatten, und ihre Familien hatten in den vergangenen Jahren eine harte und zum Teil entbehrungsreiche Zeit erlebt. Umso mehr freuten wir uns, nun endlich wieder unser schönes Hobby, das Singen und Jodeln, pflegen zu können.» Mit Elan und Freude hätten sie alte und neue Lieder geübt. Sie hätten auch Gottesdienste mitgestaltet und seien an verschiedenen Anlässen aufgetreten.
1962 entschied sich der Vorstand, dem Eidgenössischen Jodlerverband beizutreten. Immer mehr wurde der Wunsch laut, an den Anlässen in einer Tracht auftreten zu können. Deren Finanzierung sei eine grosse Herausforderung gewesen, erzählt Gallus, der seinerzeit Kassier des Klubs war. Gönner waren schwer zu finden, die Mitglieder konnten finanziell nicht allzu stark belastet werden und die Vereinskasse erlaubte nur einen bescheidenen Betrag für die Tracht. Trotz aller Schwierigkeiten – 1963 wurde die erste Tracht beschafft. Auch aus Kostengründen wurde die Bluse der relativ günstigen Sarner–Tracht gekauft. Auf die Anschaffung von Hosen wurde verzichtet. Am 14. Januar 1966 erfolge dann der erste Auftritt in der ‚ganzen‘ Tracht. «Wir waren stolz», sagt Gallus mit leuchtenden Augen. «In den folgenden Jahren erlebten wir viel Schönes im Klub. Wir führten regelmässig Konzerte durch, traten an verschiedenen Anlässen auf, genossen Reisen im In- und nahen Ausland, pflegten Kontakte mit andern Chören und erlebten viele schöne, kameradschaftliche Stunden.»
1970 trat der Klub erstmals an einem regionalen Jodlerfest auf. «Wir waren stolz, die Note 2 zu erzielen.» Im Jahre 1975 war dann in Aarau der erste Auftritt an einem Eidgenössischen Jodlerfest. «Ich bin heute noch stolz auf die Bestnote 1», sagt Gallus. Und fügt dann an: Seine Schilderungen wären nicht vollständig, wenn er nicht auch über weniger Erbauliches aus jener Zeit berichten würde. «Manchmal fehlten uns Jodlerinnen oder Sänger in einem Register und Auftritte waren deshalb fast unmöglich.» Und leider hat es auch Zwist und Streit zwischen Mitgliedern gegeben, die auch zu bedauerlichen Austritten geführt hätten. Manchmal sei es auch schwierig gewesen, Mitglieder zu finden, die sich für eine Funktion im Vorstand zur Verfügung stellten. Kurz und gut: «Es war wie in jeder Gemeinschaft – Sonnenschein und Regen gehören zum Leben.»
Unser 75 Jahre-Jubiläum stellt die Weichen für die Zukunft
Mit Blick auf das 75-jährige Bestehen des Jodlerklubs TV Neue Sektion im Jahr 1995 wurde beschlossen, eine neue Tracht zu beschaffen. Der Vorstand evaluierte zusammen mit dem Trachtenverband verschiedene Möglichkeiten. Dies war eine anspruchsvolle Tätigkeit, mussten doch auch die finanziellen Möglichkeiten berücksichtigt werden. Dank einer grosszügigen Spende eines St.Galler Unternehmers konnte die St.Galler Festtagstracht für die Jodlerinnen und Sänger gekauft werden. Die neue Tracht wurde 1994 mit einem Konzert feierlich eingeweiht. «Ein würdiger Anlass», erinnert sich der Veteran. Schon bei der Beschaffung der Tracht wurde vom innovativen Vorstand über eine Namensänderung des Jodlerklubs nachgedacht. Seit vielen Jahren gab es keinen Bezug mehr zum ‚Mutterverein TV Neue Sektion St.Gallen‘. Die Entscheidung, die St.Galler Tracht zu kaufen, war ein weiteres Signal, den Namen anzupassen. Gallus erinnert sich: «2003 wurde unser altehrwürdiger Klub in ‚Jodlerclub Stadt St.Gallen‘ umbenannt.» Diese Bezeichnung sollte die Beziehung und die Verbundenheit mit der Stadt. St.Gallen unterstreichen – und mit Stolz wurde bei Auftritten und Anlässen die Festtagstracht der Stadt St.Gallen getragen.
Wir sind dankbar, wir sind stolz und wir fühlen uns verpflichtet
Wir danken Gallus herzlich für seine wertvollen Ausführungen. Wir haben versucht, aus der Fülle seiner Erinnerungen einige wichtige Meilensteine der Geschichte unseres Clubs in der Festschrift festzuhalten. Wir erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit und bitten um Nachsicht, wenn wir Wichtiges nicht erwähnt haben.
Wir sind dankbar, wir sind stolz und wir fühlen uns verpflichtet gegenüber allen Personen, die sich in dieser langen Zeit für unseren Club engagiert haben, sei es als Dirigentin oder Dirigent, als Jodlerin oder Jodler, als Sängerin oder Sänger, in einer Funktion im Vorstand, als Passivmitglied, als Gönner oder als Sponsor. Ihnen allen danken wir für ihre Arbeit, ihre Unterstützung und ihr Engagement für unseren Jodlerclub.
Wir dürfen stolz sein, seit unserer Gründung vor 100 Jahren ein Teil der Kulturszene der Stadt St.Gallen zu sein und diese mitzuprägen. Viele Jodelkonzerte haben wir seither durchgeführt, viele Feste mit unserm Gesang bereichert, viele Gottesdienste gesanglich mitgestaltet. An vielen Anlässen haben wir mit unserm Singen und Jodeln Freude bereitet und Trost gespendet – und uns selber durch das Jodellied immer wieder beflügelt und erfreuen lassen.
Unser Versprechen für die Zukunft: Wir werden weiterhin mit Freude und Begeisterung das Liedgut und Brauchtum unserer Heimat pflegen und weiterentwickeln. Wir werden weiterhin an verschiedenen Auftritten die Zuhörenden mit unserem Gesang erfreuen. Und wir werden weiterhin die Kameradschaft in unserem Club pflegen.
Verfasser: Johannes Seitz